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Freitag, 7. November 2014

Mein 9. November 1989

Ich erinnere mich noch, als ich am 9. 11. 1989 nach der Probe im Erfurter Opernhaus nach Hause kam und im Fernsehn die Nachricht von der Grenzöffnung sah: ungläubiges Staunen wurde schnell von der Überlegung abgelöst, wie ich mir schnellstmöglich das geforderte Dokument besorgen könnte, um West-Berlin zu besuchen.

Am nächsten Morgen war ich auf dem Polizeipräsidium gemeinsam mit vielen andern Erfurtern, allgemeine Ratlosigkeit, was man denn ausstellen sollte, übervolle Gänge, dann kam offenbar die Anordnung und jeder bekam sein Dokument. Ich habs natürlich nicht pünktlich zur Ensembleprobe Rosenkavalier geschafft, circa 20 Minuten zu spät (vielleicht das einzige Mal selbstverschuldet in 26 Jahren) - die Kollegen hatten mich schon auf dem Weg nach Berlin vermutet.

Am Samstag, den 11. hatte ich einen Termin im Schauspielhaus Berlin: ich wollte an der Orgel üben, um in der darauffolgenden Woche beim Webber-Requiem mitzuwirken. Das Konzert leitete mein späterer Dirigierlehrer Prof. Heinz Rögner, es wurde live im Rundfunk übertragen. Man kann sich sicher die Gefühle vorstellen: eigentlich gab es nichts wichtigeres im Moment als die neue Freiheit auszukosten - gleichzeitig verlangte die Kunst eine gewisse Disziplin...Ich hab mir vorgenommen, wenigstens bis 18 Uhr an der Orgel zu üben - danach wollte ich Freunde in Westberlin besuchen. Es fiel sehr schwer, konzentriert bei der Sache zu bleiben - trotz dieses tollen Instruments und der Aussicht, mit dem Rundfunksinfonieorchester zu konzertieren.

Ab 18 Uhr war dann der weg frei: über die Friedrichstraße nach Westberlin. Unglaublich, das alles zu sehn: ich hatte gedacht, daß ich vor meiner Rente diesen Weg nie gehen werde und nun ging das so schnell. Ich habe Freunde wiedergesehen, die ich vor kurzem noch auf lange Zeit verabschiedet hatte, die aus der DDR ausgereist waren und konnte es kaum fassen, sie so schnell wiederzusehn!

Die darauffolgende Probenwoche in Berlin war unglaublich aufregend: unvergeßlich die Spaziergänge nach Probenende diesseits und jenseits der Mauer - und dann noch ein tolles Konzert, und ich durfte die große Orgel im Schauspielhaus spielen!

Freitag, 24. August 2012

Buchtipp: Zeit aus den Fugen

Dramatisches und persönliches Zeitzeugnis des Sommers 1989: Mitauslöser für die Wende war die Flucht vieler DDR-Bürger über die durchlässig gewordene Grenze in den Westen. Ich hatte gerade meine erste Spielzeit am Theater Erfurt erfolgreich gemeistert und ein Jahr Dirigierunterricht bei meinem GMD Prof. Ude Nissen hinter mir, als ich am 1. Oktober folgende Karte bekam:
Wie ich erfuhr, hatte die Familie einen Ausreiseantrang gestellt und Prof. Nissen wurde von einer Stunde zur anderen unerwünschte Person im Erfurter Theater und erhielt Hausverbot. Das Schicksals der Nissens habe ich weiterverfolgt; nach der Wende im nächsten Jahr kam Prof. Nissen wieder zu einem Gastspiel nach Erfurt zurück, auch privat haben wir weiter Kontakt gehalten. Ihm verdanke ich meinen Dirigentenberuf, er vermittelte einen hohen künstlerischen Anspruch, dem ich versuche, bis heute treu zu bleiben; er war mir ein großes Vorbild. Und nur wenige Dirigenten habe ich kennengelernt, die diesen Beruf so seriös, mit großem Können und mit soviel Herzblut und Menschlichkeit ausgeübt haben.

Es war unglaublich bewegend für mich, die Stationen der Flucht der Kinder nachzulesen und an ihrem persönlichen Schicksal teilzuhaben.